Herr Dr. Harttgen, Sie sind vor zwei Monaten aus Bremen nach Essen gekommen. War es ein Kulturschock, als Hanseat ins Revier zu wechseln?
Die Mentalität ist eine ganz andere. Wie hier alle zu ihrem Verein stehen, ist ungewohnt für mich. Hier leiden die Fans so herrlich mit ihrem Verein. In Bremen fließt alles ruhig wie die Weser. Wenn die eigene Mannschaft verliert, dann ärgert man sich kurz, geht einen trinken und hakt das Ergebnis abends ab. Hier beschäftigen sich viele noch drei Tage lang mit dem Spiel ihrer Mannschaft.
Welchen Eindruck haben Sie in Ihrer kurzen Zeit in Essen von ihrem neuen Klub gewonnen?
RWE ist ein besonderer Klub. Hier herrscht eine große Diskrepanz zwischen der sportlichen Realität und den Wünschen und Träumen der Menschen. Manchmal hat man das Gefühl, die 3. Liga gibt es für viele Fans gar nicht. Doch sie ist nun mal da. Ich kann ja gerne den Antrag stellen, ob RWE die Relegation und die 3. Liga auslassen darf, um direkt in die 2. Bundesliga aufzusteigen. Aber ich glaube, ich weiß schon, wie die Antwort lauten wird.
"Ein Meister muss aufsteigen dürfen"
Wie realistisch ist es denn, dass aus den Träumen in naher Zukunft Realität wird?
Wenn man deutschlandweit von RWE hört, dann heißt es oft: ‚Die müssten doch ganz woanders spielen.‘ Aber es bringt nichts, von ‚müsste‘ zu sprechen. Wir werden uns gegenüber der Konkurrenz positionieren und gegenhalten. Und dann gibt es leider noch das große Problem: Selbst wenn man eine ganze Saison kein einziges Spiel verliert – auch in der Relegation nicht – dann kann man mit etwas Pech trotzdem am Ende ein Elfmeterschießen verlieren und nicht aufsteigen. Die Diskussion um die Aufstiegsregelung darf nicht aufhören. Denn es ergibt keinen Sinn, dass ein Meister nicht aufsteigen darf.
Planen Sie viele Einkäufe im Sommer?
Ich kann soviel sagen: Wir wollen junge Spieler ausbilden und entwickeln, die später vielleicht auch stark genug sein werden, um höherklassig zu spielen. Wir werden Spieler mittleren Alters holen. Und wir werden mindestens einen älteren Spieler holen, der weiß, was Sache ist. Sozusagen einen „Papa der Kompanie“ (lacht).
Wirtschaftliche Seriösität steht im Vordergrund
Das klingt, als würde es nicht billig für Rot-Weiss Essen.
Wir gehen weiter unseren wirtschaftlich seriösen Weg. RWE ist unglaublich attraktiv für neue Spieler, denn es gibt viel, was wir bieten können. Ein großes Stadion, leidenschaftliche Fans, ein seriöses Umfeld. Und natürlich zahlen wird auch nicht schlecht. Es ist unsere Aufgabe, die Spieler von unserem Weg zu überzeugen.
Im Sommer laufen zwölf Verträge aus. Wie geht es mit den Spielern weiter, deren Zukunft noch offen ist?
Zunächst einmal konzentrieren wir uns auf die nächsten Spiele. Da haben alle Akteure, die nicht über den Sommer hinaus gebunden sind, eine gute Gelegenheit, sich zu präsentieren. Wer bereit ist, unseren Weg mitzugehen, wird auch die Gelegenheit dazu bekommen. Allerdings werden wir ehrlich sein und die Spieler, bei denen es nicht reicht, auch frühzeitig darüber in Kenntnis setzen, dass wir nicht mit ihnen verlängern.
Warum musste nach Waldemar Wrobel nun auch A-Jugendtrainer Marco Rudnik gehen?
Ich habe mir in den vergangenen Monaten natürlich nicht nur bei der ersten Mannschaft, sondern auch im Nachwuchsbereich einen Überblick verschafft. Und als mir der Leiter unserer Nachwuchsabteilung, Andreas Winkler, dargelegt hat, warum er diesen Schritt machen möchte, habe ich ihm zugestimmt, da er gute Arbeit leistet.
Wie steht es mit der zweiten Mannschaft? Einige Bundesligisten denken derzeit über einen Rückzug ihrer Reserve nach. Sie auch?
Wir überlegen auch in diesem Bereich, wie wir uns für die Zukunft aufstellen wollen. Wir haben in meinen Augen sogar eher einen Grund, uns Gedanken über dieses Thema zu machen, als die Bundesligisten. Schließlich sind die U19-Bundesliga und die Regionalliga West vom Leistungsniveau nahe beisammen. Wir befinden uns derzeit noch in Gesprächen zu diesem Thema und wenn wir alle zu einer Entscheidung kommen, werden wir sie verkünden.
Die erste Mannschaft präsentierte sich in dieser Saison sehr wechselhaft. Erklärungen schien niemand gefunden zu haben. Sie schon?
Die Erfahrung spielt da sicher eine Rolle. Wie erwähnt, wollen wir uns deshalb in diesem Bereich auch personell verstärken. Ich glaube aber, dass jeder Spieler, der hier spielt, auch etwas kann. Wir müssen alle nur formen, sodass die Mannschaft gemeinsam funktioniert. Teilweise hat das schon geklappt. Aber leider nicht oft genug.
Das für die Fans wichtigste Spiel der Saison steigt am 8. April im Halbfinale des Niederrhein-Pokals gegen den MSV Duisburg. Welche Chancen sehen Sie dort für RWE?
Da der Gegner in diesem Spiel der klare Favorit ist, wird es für unsere Mannschaft mit Sicherheit leichter. In dieser Saison haben die Spieler schon öfter gezeigt, dass sie sich einfacher tun, wenn der Druck nicht so groß ist. Es wird sicher ein interessantes Spiel. Aber obwohl wir uns alle auf diese Partie freuen, ist es die wichtigste Aufgabe für unsere Spieler, die Punktspiele vernünftig zu absolvieren. Meine Meinung ist: Jeder, der in der 4. Liga spielt, muss sich zeigen und immer das Beste abrufen wollen, bei Wind und Wetter und egal wie der Gegner heißt. Wenn ein Spieler da einen Unterscheid zwischen dem Pokalspiel und den restlichen Ligapartien macht, kann ich das nicht verstehen.
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