„Warum jubeln die denn die ganze Zeit so und schauen gar nicht zum Spiel? Dann wissen sie doch gar nicht, warum sie sich
freuen“, sagt Nils im Vorspann zum Buch „Kurvenrebellen
– Die Ultras. Einblicke in eine widersprüchliche Szene.“
Er ist acht Jahre alt und der Sohn von Christoph
Ruf, mit dem ich mich am Montagabend vor seiner
Lesung im Bildungszentrum Gelsenkirchen zum
Gespräch über den Fußball und seine Fans treffe.
Christoph Ruf, was halten Sie von einem Fernsehformat,
das sich ‚Ultra‘ nennt, den Unterttiel ‚Aus Liebe zum Fußball‘
trägt und der andere Fußballtalk sein will, aber zur
Premierensendung auf Tele 5 ausgerechnet Felix Magath
einlädt, der nicht nur Spieler, sondern auch Fußballfans
mit eigener Meinung für überflüssig hält?
Ich habe die Sendung nicht gesehen und es wäre
jetzt gelogen, wenn ich sagen würde, das täte mir
leid. Ich will aber Felix Magath nicht absprechen,
dass er von ‚Liebe zum Fußball‘ angetrieben wird,
aber es soll ja den ein oder anderen Verein geben, der
im Nachhinein findet, dass die seinen Verein auch
teuer zu stehen kam. Aber klar: Für Magath ist jeder
störend, der ihn kritisiert, ob Journalist, Vereinsmitglied
oder Ultra. Für eines aber schätze ich Magath:
Er ist kein Opportunist, der den Fans öffentlich
Honig ums Maul schmiert und intern von ‚Chaoten‘
spricht. Ist mir zehnmal lieber als die ganzen Heuchler
in der Branche.
Warum reden die Ultras mit Ihnen, Sie sind doch auch Teil
des Systems, und zwar auf der Seite der ‚Lügenpresse‘?
Fans und Fanpolitik haben mich immer interessiert,
schließlich stand ich früher selbst in der Kurve,
in Karlsruhe, bevor ich mich auf die Pressetribüne
gesetzt habe. Der Auslöser für die Recherche zu
diesem Buch war die Berichterstattung rund um
den Fanprotest ‚12:12‘ und diese Debatte um den
Sicherheitswahn in deutschen Fußballstadien. Da
fand ich die Berichterstattung der meisten unserer
Kollegen schlichtweg unfair. Das ist sicher meist
nicht aus bösem Willen geschehen, sondern weil sie
keine Zugänge zu der Fanszene und insbesondere zu
Ultras haben und natürlich auch, weil sie ihr Augenmerk
eher darauf legen, wer den Fehler vor dem Tor
gemacht hat und was der Spieler nach dem Abpfiff
dazu sagt. Die Fans werden dann nur als Staffage
wahrgenommen, und das wird gerade den Ultras,
die ja auch ganz schön selbstbewusst sind, meiner
Meinung nach nicht gerecht.
Wie kam Ihr Kontakt zu Ultras zustande?
Mir hat sehr geholfen, dass ich unter anderem für
die ‚TAZ‘ und ‚Spiegel online‘ schreibe, die als fannah
gelten. Von einer Gruppe kam als Antwort auf
meine Anfrage: ‚Wir haben unser Rechercheteam
auf Sie angesetzt‘, was ganz schön größenwahnsinnig
klingt, aber zwei Tage später kam dann das Okay.
Mit mir haben aber auch zwei Gruppen, Frankfurt
und Dresden, gar nicht geredet, und die Ultras GE
zum Beispiel nicht als Gruppe, sondern nur durch
eine Einzelperson, die meisten waren aber recht offen.
Es gibt sehr reflektierte, akademische Gruppen,
wie zum Beispiel die Kohorte Duisburg. Die hinterfragen
nicht nur, warum es so wenige Frauen in der
Ultraszene gibt, sondern gehen sogar so weit und
sagen, warum sollen wir eine traditionelle Feindschaft
gegen die Kollegen aus Düsseldorf aufrecht
erhalten, wenn wir gemeinsam in Dortmund gegen
Nazis demonstrieren?
Wie war die Resonanz auf das Buch bisher, vor allem aus
der Ultraszene?
Erfreulich positiv. Zweimal wurde das Cover als ‚zu
reißerisch‘ kritisiert, inhaltlich gab es weit mehr Lob
als ich gehofft hatte. Und das, obwohl in dem Buch
viel Kritik an der Szene zu lesen ist. Nochmal: Ultras
werden völlig unterschätzt: Die meisten von ihnen
haben sich mit dem, was man ihnen vorwerfen kann,
längst intern auseinandergesetzt und sind sehr kritikfähig.
Dass sie nach außen immer aus der Wagenburg
heraus argumentieren, liegt auch daran, dass
sie oft pauschal und polemisch angegriffen werden.
Müssten die Selbstreinigungskräfte in der Kurve nicht
besser funktionieren, wenn ein Platzsturm wie in Mönchengladbach
einen jahrelangen, halbwegs vernünftigen
Dialog zwischen Verbänden, Vereinen, Polizei und
Fanszene mit einem Schlag zunichte macht?
Ja, das sollte so sein und passiert auch ganz oft, in
diesem Fall mit den ‚Boyz Köln‘ hat es nicht funktioniert,
worüber große Teile der Ultraszene selbst
angemessen entsetzt ist, auch wenn sie es in der Öffentlichkeit
so nicht zugeben würde. Wenn so etwas
passiert wie in Mönchengladbach, dann gibt es für
mich aber keine zwei Meinungen. Da wundere ich
mich über den Teil der Ultras, der da nach Entschuldigungsgründen
sucht. An sich arbeiten die Selbstreinigungskräfte aber ganz gut. In Dresden zum Beispiel
ist die ‚Faust des Ostens‘, eine hooligan-affine
Ultragruppierung mit politisch stark rechten Tendenzen
nicht mehr in der Kurve.
Und warum bekommt Dortmund sein Naziproblem nicht
in den Griff?
Sie bekommen es gerade in den Griff. Aber viel zu
spät, weil es jahrelang verharmlost wurde! Auch in
Dortmund war es schon immer so, dass Ultragruppierungen
wie ‚The Unity‘ keinen Bock auf die rechten
Schläger hatten, aber keinen Rückhalt vom Verein
und von der Stadtgesellschaft bekamen. Wenn so
etwas körperlich ausgetragen werden sollte, ginge
das für die jungen Ultras gegen die alten Hauer auch
nicht wirklich gut aus. Inzwischen hat sich der Verein
ja den Kampf gegen die rechte Fanszene auf die
Fahne geschrieben. Besser spät als nie.
Lesen Sie auf Seite 2: Ruf über die Schalker Fanszene



















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