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Fall Wilhelmshaven
Ein Urteil mit Folgen

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Foto: dpa

„Ein wundervolles, befreiendes Gefühl, dass dieser lange Weg durch die Instanzen heute ein erfolgreiches Ende genommen hat“, sagt Vereinspräsident Hans Herrnbeger nach dem Sieg beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.

Es ist fast unvorstellbar: Der Bezirksliga-Klub SV Wilhelmshaven schockt den Weltverband Fifa und schüttelt den Deutschen Fußball-Bund (DFB) gleich mit durch.

Erstmals seit dem Bosman-Urteil 1995, wonach Spieler nach Vertragsende ablösefrei den Verein wechseln dürfen, wurden Regeln innerhalb der Fußballfamilie vor einem externen Gericht grundlegend außer Kraft gesetzt.

Der BGH erklärte den Zwangsabstieg des SV Wilhelmshaven vor zwei Jahren für „unwirksam“. Der kleine Klub aus dem Norden unterliege eben nicht den Fifa-Statuten. Darum konnte die Weigerung, eine Ausbildungsentschädigung für einen Spieler zu bezahlen, auch nicht statutengerecht geahndet werden. Ein Urteil mit Sprengkraft.

Was ist das für ein Klub?
Der Klub heißt SV Wilhelmshaven Germania 05 e.V. und hat 400 Mitglieder. Vereinsfarben: Rot-Gelb. Bis 2014 spielt der Verein in der Regionalliga Nord und durfte noch 2013 im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund (0:3) spielen. Seitdem geht’s bergab: Zwangsabstieg, Lizenz-Entzug, Abstieg in die Bezirksliga Weser-Ems. Siebte Liga.

Warum musste Wilhelmshaven 2014 aus der Regionalliga absteigen?
Vor neun Jahren verpflichtete der Klub den linken Verteidiger Sergio Sagarzazu, einen Argentinier mit italienischem Pass, damals 19 Jahre alt. Nach Fifa-Statuten stand den zwei argentinischen Klubs River Plate und Atletico Excursionistas eine Ausbildungsentschädigung zu: insgesamt 157 500 Euro. Wilhelmshaven wollte nicht zahlen. Begründung: Der Spieler hat einen italienischen Pass und darf nach EU-Recht seinen Arbeitsplatz frei wählen. Die Fifa aber wollte die Zahlung durchsetzen. Fifa-Strafe: zweimal sechs Punkte Abzug — Wilhelmshaven gab nicht nach. Nächste Fifa-Strafe: Zwangsabstieg — DFB und der Norddeutsche Fußball-Verband (NFV) mussten die Strafe unter Androhung einer WM-Disqualifikation vollstrecken.

Warum kämpfte der Klub so stur?
Sagarzazu machte elf Spiele in der Regionalliga. Aber ein Regionalligist, der in der vierten Liga um jeden Euro feilscht, muss aus fast 160 000 Euro Ausbildungsentschädigung einen Grundsatz ableiten. Mit dem BGH-Urteil fühlt sich Wilhelmshaven bestätigt und möchte erstens zurück in die Regionalliga und zweitens eine Entschädigung für die verpassten Sponsoren- und sonstigen Einnahmen in den über zwei Jahren.

Jetzt möchte der DFB klären, wie das gesprochene Recht umgesetzt wird und mit den Fifa-Regeln in Einklang gebracht werden kann. Notfalls muss Wilhelmshaven jetzt erneut seine Forderungen juristisch durchsetzen. Sagarzazu spielt heute übrigens in Argentiniens erster Liga (bei Atletico San Martin).

Warum wurde der NFV verklagt und nicht die Fifa direkt?
Wilhelmshaven ist nicht Mitglied im DFB oder in der Fifa, sondern des Landesverbandes. In der Hierarchie werden die Regeln von oben nach unten bis zum kleinsten Klub durchgesetzt. Erster Ansprechpartner für einen Klub in der Regionalliga Nord ist der NFV. Landgericht, Oberlandesgericht, BGH: Das Verfahren zog sich hin.

Warum ist die Fifa betroffen?
Der Weltverband Fifa muss sich darauf verlassen können, dass seine Regeln überall auf der Welt gelten. So ist der Fußball zum Beispiel bei internationalen Transfers einheitlich organisiert. Ein Verband oder ein Verein muss sich demzufolge an die jeweils übergeordnete Satzung halten. Mit dem BGH-Urteil wurde erstmals seit Bosman das Fifa-Recht innerhalb der Fußballfamilie außer Kraft gesetzt. Demnach entscheidet nicht die Fifa, was zwischen den Vereinen passiert, sondern ein externes Gericht.

Und warum ist der DFB beunruhigt?
Der DFB hat 25 000 Vereine mit 80 000 Mannschaften. Wenn sich auch nur ein Teil davon nicht mehr an die Fifa-Regeln gebunden fühlt und notfalls Gerichte bemüht, kann der DFB seine Organisation nicht mehr steuern. „Dann gerät alles aus den Fugen“, sagte DFB-Vize und Jurist Rainer Koch in der FAZ. „So gelten etwa bei einem internationalen Transfer weltweit für alle Beteiligten dieselben internationalen Regelungen. Das garantiert Rechtssicherheit. Wenn das nicht mehr akzeptiert wird, dann könnten wir nur noch über individuelle Zulassungsvereinbarungen vorgehen bis hinab zum kleinsten Kreisklassenverein.“ Die Folge: ein bürokratisches Monster.

Was bedeutet das für meinen Klub?
Wann immer ein Verein einen Widerspruch zwischen dem Urteil eines Sportgerichts und dem allgemeinen Recht sieht, kann er juristisch gegen den zuständigen Verband vorgehen. Es fängt beim Schimpfen über Schiedsrichter an: Ist das eine Unsportlichkeit — oder freie Meinungsäußerung? Und geht weiter bis zu jedem Transfer, der eine Ausbildungsentschädigung vorsieht: Seit dem höchstrichterlichen Urteil kann die jetzt jeder Klub straflos verweigern.

Auf der Seite 2: Der Fall Wilhelmshaven im Detail

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Kurz Notiert / Amateurfußballnews

KOMMENTARE

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  • Franky4Fingerz 20.09.2016 19:47 Uhr
    Sofort die Özil-Kohle von RWE zurückholen - die sind nicht Mitglied der FIFA!
    Mir schwant übles... Wilhelmshaven tut den Amateuren keinen gefallen!
  • entelippensDo 20.09.2016 21:10 Uhr
    Kennst Du die Geschichte von den Äpfeln und den Birnen ? ;-)
  • bringer 20.09.2016 22:51 Uhr
    Mir stellen sich die Nackenhaare auf, wenn ich diesen Kommentar lese, der offenkundig von einem Rechtslaien verfasst wurde.
    Geht es nicht in den Kopf des Autors hinein, dass der BGH keineswegs FIFA-Regularien außer Kraft gesetzt hat sondern richtigerweise erkannt hat, dass diese Regeln gar nicht für Wilhelmshaven gelten können, weil diese kein Vertragsverhältnis miteinander haben? Daran ist weder der BGH noch der Verein schuld. Und richtig wütend werde ich, wenn der Autor allen Ernstes meint, die FIFA müsse sich darauf verlassen können, dass seine Regeln überall auf der Welt gelten. Gerade dieser tief korrupte Sportverband? Das wäre ja ungefähr so, als wenn ich an einem Kiosk was einkaufen möchte und muss dann die offene Rechnung des Kisokbesitzers bei seinem Getränkelieferanten bezahlen. Der Getränkelieferant muss sich, nach der verqueren Auslegung des Autors, ja darauf verlassen können, dass sein Vertrag mit dem Kisokbesitzer auch für die Kunden gilt. So etwas gibt es zum Glück noch nicht. Dass der ehemalige Sportbild-Autor, ausgestattet mit über 20 Jahren Erfahrung bei Spingerblättern, dafür plädiert ist bezeichnend; aber wenig verwunderlich.
    Und auch der Rest des Komentars strotz vor Rechtsunkenntnis. Die Frage ist zu stellen, warum ein sich eigentlich sachlich und neutral gebendes Sportmedium dermaßen einseitig für FIFA und DFB einsetzt, deren Strukturen dringend geändert werden müssen und die immer wieder vor Rechtsbruch nicht zurück schrecken?
  • TWIN1907 21.09.2016 13:31 Uhr
    Franky du hast es offensichtlich nicht verstanden . Hätten wir von real den Özil gekauft und müssten real eine Entschädigung bezahlen (bzw Arsenal) dann wärst du auf dem richtigen Pfad . So quasselst du aber wie immer nur ......
  • Baldur Brauzahn 21.09.2016 17:55 Uhr
    Ein Blinder, wer die Probleme nicht sieht, wenn fussballweltfremde Richter herangezogen werden, zumal diese mal so und mal so und je nach Land sowieso unterschiedlich urteilen mögen. Man denke nur an den Schaden, den das Bosman-Urteil verursacht hat, oder die Absurdität des Falles Müller.
    Die Entscheidung der Fifa im Fall Wilhelmshafen bezüglich der Ausbildungsentschädigung ist offensichtlich nicht richtig, aber da hätte der DFB sich um eine vernünftige Lösung/Regelung bemühen müssen anstatt es dazu kommen lassen, dass "weltliche" Gerichte bemüht werden. Konsequenterweise müsste die FIFA nun so reagieren wie sie es in solchen Fällen zu tun pflegt: (Androhung des) Auschluß des DFB von FIFA-Wettbewerben.

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