Am Ende des Gesprächs verabschiedet sich Leon Goretzka höflich. Im Teamhotel der deutschen Nationalmannschaft in Düsseldorf hat sich der 23-Jährige Zeit genommen, das erste Interview seit Bekanntgabe seines Wechsels vom FC Schalke zum FC Bayern im Sommer zu geben. Für den Wechsel musste der Mittelfeldspieler viel Kritik einstecken. Vor dem Testländerspiel gegen Spanien an diesem Freitag (20.45 Uhr/ARD) spricht Goretzka über die Gründe seines Weggangs, die Herausforderung München und die enorme Konkurrenz im deutschen Mittelfeld bis zur WM. Aus Gelsenkirchen will er sich verabschieden wie am Ende dieses Interviews – anständig.
Herr Goretzka, ist es Ihnen wichtig, was die Leute von Ihnen denken?
Leon Goretzka: Das kommt auf die Leute an. Wenn ich sagen würde, mir ist es egal, was mein Vater über mich denkt, wäre das eine Lüge. Andererseits gibt es Menschen, bei denen mir das weniger wichtig ist.
Wer Sie so sprechen hört, der hat den Eindruck, dass Sie sehr kontrolliert sind, sehr rational, sehr reif für Ihre 23 Jahre. Wie wird man so?
Das ist das Ergebnis einer Entwicklung. Man wird als junger Fußballer schon sehr früh mit Situationen konfrontiert, an denen man wächst. Ich habe schon in Jugend-Mannschaften damit angefangen, Verantwortung zu tragen, war Kapitän. Es ging Stück für Stück immer weiter.
Haben Sie einen Karriereplan?
Es ist nicht so, dass ich mit 17 schon wusste, wo ich mit 28 würde sein wollen. Aber die nächsten Schritte hatte ich schon im Kopf. Die Entscheidung zum Beispiel, dass ich beim VfL Bochum meinen ersten Profivertrag unterschreibe und nicht zu einem anderen Bundesligisten wechsle, war eine bewusste. Bis zu einem gewissen Grad ist das alles geplant, ja.
Wie wichtig ist Veränderung, um sich entwickeln zu können? Muss man auch mal etwas zurücklassen?
Entwicklung ist Veränderung. Wer eine solche Karriere anstrebt, der bringt viele Opfer.
Sie haben in Ihrer bisherigen Karriere fast immer nur Zuspruch erfahren. Mit dem bevorstehenden Wechsel vom FC Schalke zum FC Bayern München hat sich das geändert. Lässt Sie dieses Negativerlebnis auch reifen?
Absolut. Mein Wechsel vom VfL zu Schalke ging auch nicht ganz geräuschlos ab, gerade weil Bochum meine Heimatstadt ist. Da waren auch unschöne Situationen dabei. Jetzt hatte es natürlich eine andere Dimension. Aber das ist immer eine Frage der richtigen Einordnung. Ich konnte das verarbeiten.
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das jetzt der richtige Schritt ist. Ich hatte das Gefühl, dass ich raus muss aus meiner Komfortzone, um mich weiter zu entwickeln.
Leon Goretzka über seinen Wechsel
Hat Sie die Reaktion der Schalke-Fans gekränkt? Sie wurden scharf angegangen.
Es war ein langer Entscheidungsprozess. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt und war sehr gut vorbereitet auf die Situation. Im Großen und Ganzen ist das alles im Rahmen abgelaufen. Ich war selbst mal großer Fan des VfL und kann verstehen, dass für einige Menschen sehr viel an dieser Entscheidung hängt. Andererseits bin ich auch auf viel Verständnis gestoßen. Ich werde den Schalker Fans also sicher keinen Vorwurf machen.
Manuel Neuer, Mesut Özil, Julian Draxler, Leroy Sané – sie alle verließen Schalke, weil sie bei anderen Klubs bessere Entwicklungschancen sahen. Wie war es bei Ihnen?
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das jetzt der richtige Schritt ist. Ich hatte das Gefühl, dass ich raus muss aus meiner Komfortzone, um mich weiter zu entwickeln. Auch die Champions League spielte eine große Rolle bei der Entscheidung. Beim FC Bayern startet man mit einer anderen Erwartungshaltung in die Champions League. Mit Schalke lag der Fokus eigentlich immer darauf, die Gruppenphase zu überstehen. Ich möchte diesen Schritt zu Bayern gehen und denke, das ist das einzig Richtige, um dahin zu kommen, wo ich hin möchte.
Die Komfortzone in der Nationalmannschaft ist recht überschaubar. Ihre Konkurrenten im zentralen Mittelfeld heißen Toni Kroos, Star von Real Madrid, Ilkay Gündogan, Stratege von Manchester City, und Sami Khedira, Führungsspieler bei Juventus Turin. Was denkt man da?
Es macht Spaß, mit diesen Spielern zu spielen. Sie sind den Schritt, den ich jetzt gehe, schon vor ein paar Jahren gegangen. Daran lässt sich ablesen, wohin es führen kann. Das sind alles Spieler mit Weltklasse-Niveau, die bei Klubs mit hohen Ambitionen eine große Rolle spielen. Das will ich auch.
Wie würden Sie Ihre Rolle in der Nationalmannschaft derzeit bezeichnen?
Sind Sie der Herausforderer?
Ich weiß gar nicht, ob es Sinn ergibt, dieser Rolle einen Namen zu geben. Wichtig ist, dass ich zusehe, mit Schalke unsere Ziele zu erreichen und mich in eine gute Verfassung zu bringen. Dann sind die Chancen gut, dass ich bei der WM dabei bin. Und dann wird alles dem Erfolg untergeordnet.
Toni Kroos ist eine Passmaschine, Ilkay Gündogan kann auch mit einem Dribbling mal Raum gewinnen, Sami Khedira hat körperliche Präsenz. Welche Werte bringen Sie ein?
Ich glaube, dass ich für einen Mittelfeldspieler eine recht große Torgefahr ausstrahle und auch Tempo mitbringe, das uns helfen kann. Zudem bin ich recht flexibel, was die Position angeht.

nterview in Düsseldorf: Leon Goretzka mit den Reportern Daniel Berg (Mitte) und Jörn Meyn (rechts).
Es gibt Menschen, die sagen, Sie sprächen und dächten manchmal wie ein Trainer.
Es ist eine Stärke von mir, die Taktik des Trainers mit auf den Platz zu nehmen und zuzusehen, dass sie umgesetzt wird – von mir und nach Möglichkeit auch von den Mitspielern. Das ist etwas, mit dem ich mich intensiv beschäftige.
Ihr Trainer beim FC Schalke könnte selber noch Spieler sein. Was macht Domenico Tedesco aus?
Es wird ihm nicht gerecht, als erstes Attribut jung zu verwenden. Die Arbeit mit ihm ist total wertvoll für mich. Er hat mir die Augen noch weiter geöffnet, was im taktischen Fußball heutzutage alles möglich ist. Das spiegelt sich in der aktuellen Tabelle wider. Das ist mit unserem Kader – ohne zu kritisch sein zu wollen – nicht selbstverständlich. Der Trainer hat großen Anteil an unserem Erfolg. Auch menschlich leistet er außergewöhnlich gute Arbeit.
Wenn Sie Schalke im Sommer verlassen: Wie sollen sich die Menschen an Sie erinnern?
Für mich ist es unheimlich wichtig, Schalke mit einem positiven Erlebnis zu verlassen. Es wäre schwierig zu verkraften, 2013 zu Schalke als Champions-League-Teilnehmer gewechselt zu sein und ihn als Europa-League-Teilnehmer zu verlassen. Das Pokalfinale wäre auch eine feine Sache, darauf warten die Fans schon lange. Und generell hoffe ich, dass die Fans irgendwann nicht nur das letzte halbe Jahr in Erinnerung haben, sondern die vielen Tore, die ich geschossen habe, die intensiven Spiele, die wir abgeliefert haben. Es waren sehr viele schöne Momente dabei, und ich hoffe, dass sie sich an mich als einen Spieler erinnern, der immer alles für Schalke gegeben hat. Das wäre mir wichtig.



















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