Der alternative RWE-Fanbericht von Schwalbenalfred & Kurvenklaus
Nachwort: „Ich sehe Energieblockaden und was mich besonders erschreckt: Kein Geist auf dem Rasen! Ihr braucht spirituelle Hilfe. Dringend. Ich höre eine Stimme… Ihr seid die Lady Di des runden Leders, die Fußballkönigin der Herzen. Hütet Euch vor Tunneln.“
(Aragon Müller, Esoteriker, Astrologe)
Sammelbericht Nr. 2
Der 244. Tag des Jahres. Gerd Wendland hätte heute Geburtstag. Er besang „Die Beine von Dolores“. Bis heute hat keiner die Beine von Willi Lippens besungen, dafür hat die Schuhwahl zweier Spieler beim Samstagsspiel in Verl für glückliche Fangesänge gesorgt.
Ich wache auf und mein erster Gedanke lautet: „Heute ist RWE-Tag.“ So ist das immer an Spieltagen. Da überkommt mich schon morgens diese besondere, freudig aufgeregte Stimmung, dieses unbeschreibliche „Spieltag-Gefühl“, was mich bis zum Anstoß begleiten wird. Auch wenn der Dienstag ein unüblicher Spieltag ist, die Rituale bleiben dieselben wie am Wochenende: Kaffee kochen und dann Videotext an: Arcandor wird heute Insolvenz beantragen, bei RWE ist alles in Butter. Keine Spielabsage, keine Insolvenz. Prima.
In der Firma erwartet mich das immer wiederkehrende Murmeltier-Zeug: Der Chef kommt blöd grinsend um die Ecke und sagt „Na, Alfred, heute wieder zu den Viertliga-Krampen?“ Ich murmle „Idioten-Spacko“ und warte auf Sigi, unseren „Eigentlich wäre ich gerne Dortmund-Fan“ aus Holsterhausen, der noch nie in Dortmund war. Ich sage „Moin Klappspaten“ und Klappspaten schwallert schlau über das längst vergessene blaue Unglücks-Schuhwerk. Er fragt, ob wir gegen Verl verloren hätten. Ich versüße ihm den Morgen, sage „ja“ und freue mich, dass „Biene Maja“ gleich in den anderen Abteilungen sein neuestes Wissen preisgibt.
Im Hintergrund läuft das Lokalradio Essen und ein Kommunalpolitiker spricht über die vorgestrige Wahl. „Essen ist wieder rot“. Was heißt hier „wieder“?
Noch 10 Stunden bis zum Spiel. Gegen 17.30 Uhr kommt Sigi und offenbart mir, dass ich Überstunden machen muss. Ich wünsche mir Mölders neues „Wunder-Schuhwerk“ herbei, um ihm ins Hinterteil zu treten. Neben dem Biowetter, das innere Unruhe verursacht, jetzt auch noch das.
Um 20.00 Uhr bringt mich Kollege Rohr-Ralle zum Stadion. Er ist Wasserspezialist und erzählt mir von gefährlichen Wasseradern und von der „Köttelbecke“ Emscher. Ob diese ehemalige Kacke-Ader am GMS vielleicht gefährlich für die Aura ist?
Wir hören Radio Essen und warten auf Meldungen vom GMS. Ein Reporter faselt von „unglaublichen Chancen“, „es könnte schon 4:0“ stehen und es sei ein toller „Saisonauftakt“. Nun ja, vielleicht ist der Gute ja über einen Kollegen von Radio Hafenstraße gestolpert und hat sich am Kopf verletzt. Saisonauftakt, Saisoneröffnung, hallooo, wir sind mittendrin statt nur dabei!
Pünktlich zum Anstoß in der 2. Halbzeit erreiche ich die singende Osttribüne und sehe die Anzeigentafel, die mir ein 0:0 präsentiert. Die Stimmung ist klasse. Anstoß-Pünktchen fällt mir in den Arm: „Alfred, ich bin so wibbelig heute und mein Horoskop war auch Scheiße. Und wenn ich die herumliegenden Bleche auf der skelletierten Nord sehe, bekomme ich Angst.“ Ich gebe ihr zwei Euro für ein Beruhigungs-Bier und simse Kurvenklaus, dass ich da bin. Er antwortet: „Hier stimmt was nicht…“. In diesem Moment bekommt meine jahrzehntelang gequälte rot-weisse Seele einen weiteren Schlag und ich sehe jubelnde Altbier- und Senfanhänger.
Ich wandle wie in Trance Richtung Bierstand und beobachte die anderen Fans. Vor meinen Augen sehe ich Sequenzen aus dem Video „Thriller“ von Michael Jackson. Leblose Augen, gleichförmiges Starren. Nur, dass man nicht vom Friedhof kommt, sondern es scheint, als würde man sich in einem Leichenzug Richtung Grabstätte RWE bewegen. Selbst Abpfiff-Anton sagt: „Auch andere Metzger haben schöne Bratwürste.“
Ich habe Angst, durchzudrehen. Wird man mich bald einliefern, weil ich beginne, an einen Fluch zu glauben? Liegt unter dem GMS ein Friedhof mit untoten russischen Krieggefangenen?
Kurvenklaus kommt mir entgegen. Mein sonst quirliger Kumpel ist leichenblass und schweigt. So habe ich ihn noch nie gesehen. Kurven-Zombieklaus, der allem Anschein nach einen Exorzisten braucht, fängt sich kurz und zitiert Jürgen „Kobra“ Wegmann: "Zuerst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu.“ Kobra hin, Kobra her, mein Kumpel ist auf alle Fälle giftig und will frühestens wieder zu RWE gehen, wenn wir Tabellenführer sind. „Wahrscheinlich in 4-8 Jahren“ sagt er.
Er hat das Spiel der Rot-Weissen gar nicht so schlecht gesehen, zumindest in der ersten Halbzeit. Da hätte man 2 Tore machen müssen. Bei jedem anderen Club geht eins davon rein. Nur bei RWE mal wieder nicht. Die Laufbereitschaft, im Gegensatz zum Saarbrückenspiel, hätte eigentlich gestimmt und der Einsatz der Spieler war eigentlich in Ordnung - nur leider brotlose Kunst. Düsseldorf war über weite Strecken sehr schwach und RWE hat den Gegner vollständig kontrolliert. Gefühlte 90% Ballbesitz, aber wieder zu wenig erarbeitete Torchancen, bzw. die vorhandenen nicht genutzt. Hätte man in der ersten Halbzeit das 1:0 geschossen, wäre das Spiel wahrscheinlich in die richtige Richtung gegangen. Wenn man allerdings in dieser Liga nach 60 Minuten keinen Erfolg hat, wittert der Gegner, der eh nichts zu verlieren hat, Morgenluft, während unsere Jungs langsam immer mehr verkrampfen.
Resultat, was dann alles „abrundet“: Zack, man bekommt zu allem Überfluss noch das Tor und ist der Volldepp. Düsseldorf hat noch nicht mal unverdient gewonnen, es hätte aber auch ein Sieg für RWE werden können. Ein Unentschieden wäre daher sicher das "gerechtere" Ergebnis gewesen. Aber Gerechtigkeit gibt es beim Fußball nun mal nicht. Da machst du nix. Was bleibt ist, dass man die (vermeintliche) Qualität unserer Einzelspieler nicht als Mannschaft auf den Platz bekommt und gegen die tief stehenden Gegner keine oder zu wenig Mittel findet.
Ausfälle wieder: Himmelmann (obwohl auch mit 2 guten Paraden, aber das ist auch sein Job) unsicher und ständig nicht auf dem Posten. Mainka und Bührer, die die linke Seite nahezu zum Totalausfall gemacht haben. Das muss abgestellt werden. Eigentlich muss noch viel mehr abgestellt werden.
Ich überlege schon jetzt, woher ich das Gegengift bekomme, um meinen vergifteten Kumpel zu bewegen, wieder mit ins Stadion zu kommen. Er scheint es ernst zu meinen.
Am Folgetag lese ich etwas von „den Faden und dann auch völlig die Orientierung verloren“. „Leck mich inne Gegend von Darmstadt!“ Das kenne ich aus Filmen: Wenn Menschen verflucht werden, böse Geister im Spiel sind, man verhext wird, Erd- oder Wassergeister Schabernack treiben, ein Teufel im Spiel ist oder Feng-Shui nicht beachtet wird, ja, dann ist der Faden ab und man ist orientierungslos.
Wäre da nicht die Tatsache, dass ich das Ganze eigentlich sehr realistisch betrachten will, ich würde sofort einen Rosenkranz beten oder einen Baum umarmen, nur um diese „Unendliche Geschichte“ zu einem „Fußballmärchen“ zu drehen.
Ich fühle mich von allen guten Geistern verlassen und rufe Richtung Himmel „Oh lieber Gott, oh lieber Gott, wir brauchen einen Harry Pott“.
Eine Hilferuf-Mail an Kurvenklaus` Cousin „Vodoo-Volker“ ist bereits abgeschickt.
Mit einem Song verabschieden sich, diesmal gespenstisch frustriert
Kurvenklaus & Schwalbenalfred
Oh, lieber Gott im Himmel,
sach Helmut ma Bescheid.
Er muss ma runterkommen,
et is widder soweit.
Der liebe Gott is gnädig,
befiehlt den Helmut vor
und an der Hafenstrasse
singt der ganze Himmelschor…
Der Rahn, der müsste schießen,
er schießt, es fällt ein Tor.
Rot-Weiss wird niemals sterben
und jetzt singt der Hafenchor…
Auf geht’s Essen…
© Schwalbenalfred


















