Unerwartetes Derby
07.05.2017
VfL Kupferdreh I – SG Kupferdreh/Byfang I 1:3 (1:1), 30. Spieltag, Sonntag, 07.05.2017, 11:00 Uhr
Hammerjungs: Gajewski – Renell – Schmitz, Kohlmann (C), Marcow, Gallego (86. Metzler) – Rustemov, Hitpass, Maliglowka, Lampey – Barrotta (g/r: 53.) (Bank: Gonzalez, Roesch, Naumann)
Tore: 1:0 Renell (8.), 1:1 (37.), 1:2 (46.), 1:3 (89.)
Vorweg ein Riesenlob an den heutigen Gegner. Den Tabellenletzten, der 37 Minuten in Unterzahl spielt, muss man erst einmal in dieser Deutlichkeit schlagen. Wirklich toll, eine Lehrstunde dafür, wie man auch mit ideen- und leidenschaftslosem Fußball und zwei Standards den klaren Sieg holt, der von allen erwartet wurde. Der Gast kreierte fast so viele Torchancen gegen die Hammerjungs wie die Übermannschaft von Kray 04 Tore am Eisenhammer Tore schoss. Lobenswert ist in jedem Fall genauso der Wille, als Bezirksliga-Anwärter die Cleverness zu besitzen, bei einer Auswechslung in der 59. Minute den Spielstand von 2:1 zu zelebrieren und die Uhr etwas herunter laufen zu lassen. Die Kabinettstückchen mit der Hacke in der Mitte der zweiten Halbzeit tun ihr Übriges dazu, dass man klar sieht, wer hier vor der Saison Aufstiegs- und wer Abstiegskandidat war. Offensiv ebenso sehr ansprechend, nur läppische 29 Minuten gegen den haushohen Favoriten vom Eisenhammer zurückzuliegen und dann im Stile einer Topmannschaft gleichsam postwendend den Rückstand zu kontern. Nicht zuletzt zeichnet es eine starke Mannschaft mit diesen Ambitionen aus, auf „die eine“ Freistoßsituation Sekunden vor dem Abpfiff zu warten, bis der Deckel mit dem 3:1 gemacht werden kann. Chapeau.
Damit wäre das Lob für den Gast abgehakt, wenden wir uns nun dem Gastgeber zu. Wie der (vielleicht nicht ganz von Ironie befreite) erste Absatz andeuten könnte, gab es nicht viel zu lachen für die Mannschaft vom Wilhelm-Haneke-Stadion, die mit der etatmäßigen ersten Elf auflief und nach der Niederlage gegen Aufstiegskonkurrent Werden-Heidhausen nun auf einen Sieg gehen musste, um noch irgendwie die rechnerische Chance auf die Relegation zur Bezirksliga zu wahren. Dass es dann nur zum (ganz) kleinen Kupferdreher Bruder geht, mag Hoffnungen auf ein Scheibenschießen im Minutentakt geweckt haben. Wie die Kollegen von Fupa schrieben, sei „alles andere als ein hoher Sieg des Tabellendritten [...] eine Überraschung und als Erfolg für den VfL zu werten.“ (Quelle: http://www.fupa.net/berichte/essener-sg-9906-kreisliga-a-sued-kopf-an-kopf-rennen-um-den--837389.html) Der Logik folgend, war das ein absoluter Kantersieg des VfL, ähnlich dem, den Blau/Gelb Überruhr oder Heisingen gegen uns feierten. In dem Spiel, bei dem die Vereinshymne (mit besonderer Betonung der dritten Strophe) ungefähr fünf Mal lief, gab es die in der zweiten Strophe so geforderte Leidenschaft – und zwar beinahe Leidenschaft für drei Spiele. Auch in Rückstand und Unterzahl liefen sich die Weiß/Orangen in den Dritte-Welt-Stutzen die Seele aus dem Leib, Dustin und Mali sind als Sechser besonders hervorzuheben. Kämpferisch könnte jetzt eigentlich jeder besonders gelobt werden. Lassen wir das „eigentlich“ und den Konjunktiv weg, jeder kann gelobt werden. Und wird jetzt auch gelobt: Lars machte ein ganz starkes Spiel, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und zeigte bis auf eine kleine Unsicherheit (die wegen Abseits abgepfiffen wurde) keine Fehler. Gaga wurde heute als wiederbelebter Libero eingesetzt, eine Entscheidung, die sich rentierte, nicht nur das Tor machte er willensstark, sondern räumte hinten genauso überragend ab, warf sich in jeden Kopfball und befreite seine Mitspieler von brenzligen Situationen. Carlos sah sich heute einem bedeutend schnelleren Gegenspieler gegenüber gesetzt, machte seine Sache aber (auch im Verbund mit Pumba) sehr solide. Offensiv schaltete er sich wenige Male ein und machte so noch mehr Meter. Der für ihn eingewechselte Björn stand ihm in nichts nach, stellte sich seinem Gegenspieler genauso in den Weg. Ole und Rene wurden als Manndecker eingesetzt, und zwar noch extremer als man das von der Manndeckung der Zweiten kennt. Heute wurde gefordert, die Stürmer überallhin zu begleiten, was sogar ArnOLEd alles abverlangte. Der 40-jährige Rene, der sich eigentlich keinen Startelf-Einsatz zutraute, klärte alles, was ihm vor die Füße kam, Ole schaltete sich gar in Angriffsbemühungen ein und ließ in der Rückwärtsbewegung nichts mehr anbrennen. Tobi, der zu Beginn der Saison noch für die Zweite vorgesehen war, machte den Vormittag für Patrick Geisler, Toptorschütze der SG, sehr unangenehm, ging Zweikämpfe ein und ließ ihm keinen Raum. Während Dustin den defensiveren Part der beiden Sechser übernahm und eine der kämpferisch besten Spiele eines Kreisliga-Sechsers machte, die ich je gesehen habe, und dabei den Spielmacher des Gastes aus dem Spiel nahm, war Mali in gleichem Maße zudem offensiv aktiv und wagte Vorstöße Richtung SGKB-Sechzehner. Von DER Offensivaktion des Spiels, einem Wahnsinnstrick auf Höhe der Mittellinie, mit dem er drei Gegner aus dem Spiel nimmt, wird vermutlich nicht nur er heute Nacht träumen. Läuferisch insgesamt ganz große Klasse von dem Mann, der in den letzten Spielen zeigte, dass die Nachwirkungen der Verletzungen und Auszeiten noch nicht verklungen sind. Pumba war heute defensiv so stark gefordert und eingebunden wie selten in dieser Saison. Gegen den alten Verein rief er aber eine defensiv fantastische Leistung ab, die den Gegenspieler an den Rand einer Tätlichkeit verleitete, was Pumba ein (vollkommen gerechtfertigtes) Grinsen entlockte. Stammesältester Djemail zeigte heute wieder dem gut besuchten Eisenhammer, dass er wohl noch wertvoll für die Hammerjungs sein kann, wenn er 50 ist. Sein Tempo und seine Leichtfüßigkeit ließen auch die hochbezahlte Abwehr des Tabellen-Dritten zittern. Gio zeigte 53 Minuten lang eines der besten Spiele im Trikot des VfL: Der geborene Stürmer war sich nicht zu schade, für den Rest der Mannschaft mitzulaufen und beschäftigte die gegnerische Hintermannschaft bei unserem wie bei deren Ballbesitz.
Der Italiener war es, der hauptbeteiligt bei der Führung war. Acht Minuten sind von der Uhr, der VfL tastet sich in das System mit Libero und Manndeckern herein, das für ihn genauso unvertraut und gewöhnungsbedürftig ist wie für den blauen Nachbarn. Der Gast war vor kurz zuvor schon einmal gefährlich vors Tor gekommen, hatte aber noch Probleme, ins Spiel zu finden. Allein die Geschwindigkeit war mit der von den anderen Aufstiegsaspiranten nicht vergleichbar. Einmal Entlastung für die Weiß/Orangen, Gio wird geschickt, relativ allein auf weiter Flur. Kann er. Er schafft es, das Eins gegen Eins zu finden. Als das ganze Tempo aus der Aktion ist und er nach rechts, zwischen Strafraumbegrenzung und Linienrichter abgedrängt ist, hilft nur ein Geniestreich. Er hebt den Ball diagonal über das Bein des Verteidigers und kann Richtung Tor entschwinden. Der Verteidiger ist abgezockt genug, das taktische Foul zu ziehen. Ziehen tut der Unparteiische Müller, der mit Gespann angereist ist, nicht die gelbe Karte. Eine großzügige, aber vertretbare Entscheidung. Als Standard-Weltmeister sind wir nicht gerade verschrien, aber die Situation ist zu aussichtsvoll als dass man keine Hoffnung haben dürfte. Djemail bringt die Kugel herein, sieht Gio. Im Stile von Gaga lässt der die Kugel durch die im letzten Moment geöffneten Beine gleiten. Nutznießer ist selbiger Gaga, der komplett überrascht den Knicker über die Linie drückt. Führung. Führung. FÜHRUNG! Unglaublich. Wer hätte das gedacht? Drei Minuten ohne Gegentor waren der erste Erfolg des Tages, fünf Minuten waren der nächste Höhepunkt, es waren noch zwei Minuten, bis man sich angegrinst hätte und angesichts von zehn gegentorlosen Minuten sich selbst auf die Schulter geklopft und eine Gehaltserhöhung beim Vorstand verlangt hätte. Und jetzt die Führung. Führung. Vorsprung. 1:0. Für uns. Gegen Kupferdreh/Byfang. Fantastisch.
Doch schon als der Gegner zum Anstoß ging, war klar: Das. Wird. Schwer. Und lange. Eine lange, lange, lange Zeit. Wenn es nicht schon in den nächsten 2-5 Minuten zu Ende ist mit dem Traum. Uns ist auch zuzutrauen, in 2-5 Minuten sogar schon zurückzuliegen. Also: Nicht träumen, kämpfen. Bei jedem Blick auf die Uhr die Freude, immer noch zu führen, gleichzeitig mit der Furcht vor den verbleibenden 90-x Minuten. Zählen, rechnen, fluchen. Vor allem fluchen. Auf dem Platz: kämpfen, laufen, kämpfen. Es scheint, als könnte man in jeder Minute, die vergeht, die Herr-Der-Ringe-Trilogie gucken. Zweimal. In Spielen, in denen wir geführt haben, ging es meistens schnell. Kurze Hoffnung, ausgelassene Freude – kurzer Ärger, ausgelassene Chancen. Auf Punkte. Wieder Ausgleich. Rückstand. Heute nicht. Vergleicht man das mit dem Spiel gegen Kray, liegt das auch daran, dass der Nullvierer Abstiegskandidat schlichtweg besser, aggressiver, leidenschaftlicher war als die Mannschaft, die unbedingt die Chance auf die Bezirksliga wahren möchte. Natürlich hatte Kupferdreh/Byfang Chancen. Natürlich hat man Spielanlagen gesehen, natürlich hatten wir vielleicht auch mal Glück. Aber das war einfach zu wenig, als dass man schon kurz nach dem 1:0 von einem verdienten Ausgleich hätte sprechen können. Die Minuten verrannen (nicht), die Hammerjungs hauten sich in jeden Zweikampf, kratzten, bissen, testeten auch mal die Pfeife des Schiris, ohne dass es grob unfair geworden wäre. Gerade als wir uns mit einer Führung in der Pause wähnen und gleichzeitig der Gast grob herausgefunden hat, wo unser Tor steht, kommt er, der ungebetene Gast mit A. Ausgleich. Gaga schien heute überall: Als das Ebenbild von Franz Beckenbauer auf der Libero-Position, in Gios Torvorbereitungsbeinen und an der Außenlinie beim Einwurf. Letzteres leider. Ein Original-Sascha-Renell-Einwurf kommt in der 37. von der rechten Seite hinein, wo Lars ihn im Fünfer erwartet. Aber eben auch viel Weiß und viel Blau ihn erwartet. Lars kann den Ball nicht ganz fassen, weil vor ihm so ein Menschenauflauf ist, der Ball fällt zu Boden, von wo aus er über die Linie gedrückt wird. Kacktor. Standardtor. Wenn das zusammenkommt, weiß man, dass man am Eisenhammer ist. Dass das Tor verdient ist, ist klar. Aber muss das unbedingt so fallen...? Für gewöhnlich werden wir in den Minuten nach dem Ausgleich abgeschossen und hören nicht zufrieden mit einem nicht für möglich gehaltenen Unentschieden in der Kabine ein weiteres Mal die Vereinshymne. Kann ja nicht immer „für gewöhnlich“ sein.
Was in der Kabine besprochen wurde, kann sich jeder Leser sicher denken. Eine Stimmung und Hoffnung wie in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den turmhohen Favoriten, den man mal richtig ärgern kann. Die Aufforderung an jeden einzelnen, über die Schmerz- und Konditionsgrenzen hinweg zu gehen. Wenn nötig morgen Krankenschein mit Muskelkater des Lebens. Von Anfang an wach. Hat keiner gesagt. Gut so. Sonst hätte Gio wieder ein Facebook-Bild von „Kreisliga ist, wenn...“ in die Whatsapp-Gruppe stellen müssen. So bekommen wir kurz nach der Pause direkt wieder das Gegentor, wie es unsere liebe Gewohnheit ist. So „direkt“ musste es dann aber doch nicht sein. Von Anfang an wach. War Kupferdreh/Byfang. Waren wir nicht. 21 Sekunden und handgezählte null VfL-Ballkontakte nach dem Anstoß zum zweiten Durchgang hat sich der Ball schon den Weg von Mittelkreis bis Torlinie gebahnt, 1:2. Die Zuordnung stimmte noch nicht. Blöd gelaufen. Wie schon nach dem 1:0 und dem 1:1 konnte jetzt endlich damit gerechnet werden, dass wir abgeschossen werden, einbrechen. Nö. Das ist nun mal ein Derby und da laufen wir auch noch bei Rückstand. Haben wir gesagt. Uns vorgenommen. Und durchgezogen.
Der Gast schien seine Aufgabe erledigt zu haben. Zack, Führung am Eisenhammer. Reicht. Die machen eh keinen mehr. Schön den Sonntag ausklingen lassen. Noch 44 ½ Minuten, dann ein Malzbier, duschen, nach Hause. Viel kam nicht mehr vom Gast. Dann machen wir halt was, verloren hatten wir sowieso vor dem Spiel schon, Versuch macht klug. Acht Minuten nach dem Anstoß (genau wie in Halbzeit Eins) kommt wieder die Gio-Show. Djemail sieht den startenden Zehner, der unbedingt gegen den ungeliebten Nachbarn treffen möchte. Er bekommt den Ball, marschiert Richtung Tor, wieder ohne Unterstützung nachrückender Mitspieler. Er kommt nicht zum Abschluss, muss abdrehen. Kommt im Sechzehner nach Körperkontakt des Gegners zu Fall. Pfiff. Was jetzt? Für einen Elfmeter wird es wohl nicht gereicht haben, dafür ist Schiri Müller zu erfahren. Der meint aber eine Schwalbe gesehen zu haben. Gio, der weiß (oder in der Halbzeit erfahren hat), dass er schon Gelb hat, ahnt, was auf ihn zukommt. Der Protest hilft nicht, Müller schickt ihn mit Gelb/Rot zum Duschen. Wie gesagt: In 90% der Fälle ist das zu wenig für einen Elfmeter und vielleicht ist es nicht unmöglich, nach dem Körperkontakt auf den Beinen zu bleiben, aber Schwalbe ist schon eine sehr harte Entscheidung. Aber den für ein einziges Foul und nicht sonderlich negativ aufgefallenen Gio (tatsächlich, kaum zu glauben, aber kein Scherz!) verwarnten VfL-Akteur von Platz zu schmeißen, scheint mir als Nicht-Schiedsrichter sehr hart. Tja, 37 Minuten in Unterzahl. Die Chancen kamen für den Gast, aber eine Offenbarung war das immer noch nicht. Es schien, als mache der Gast nicht mehr als nötig und der Gastgeber mehr als körperlich möglich. Obwohl sich Mali und Djemail teilweise Auszeiten nehmen mussten und dreimal ein Hammerjung draußen behandelt wurde, konnte die Hintermannschaft die teilweise doppelte Unterzahl auffangen und die Offensive der Blauen zügeln. Der VfL kam sogar noch zu kleinen Chancen ohne allerdings zwingend zu werden. Den unnötigen Schlusspunkt setzte dann Kevin Pleimes mit einem direkten Freistoß, der zu allem Überfluss auch noch gefilmt wurde (89.).
Nichtsdestotrotz: Erwartete Niederlage, aber supergeiles Spiel. Schaut man sich allein die finanziellen Möglichkeiten beider Vereine an, wird uns keiner seinen Respekt verwehren können. Vom Gegner war mehr erwartet worden, doch wie man hört, wird das Thema noch am Sonntag in einer Mannschaftssitzung diskutiert. Man bedenke zuletzt noch, dass genau die Hälfte der heute eingesetzten Spieler in der vergangenen Saison bei Kupferdreh/Byfang gespielt hat. In der Dritten. In der Kreisliga C. Im grauen Mittelfeld. Mehr muss nicht gesagt werden. Hammer, Jungs.
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