Schaut mal was Hardy Grüne bei "Sportportal"schreibt:
14.09.20109 KommentareDeutschlands erstes Europapokalspiel
Wo alles begann: die Essener Hafenstraße
Die Champions League ist Europas beliebteste Fußball-Geldmaschine. Doch das war nicht immer so, denn als der Wettbewerb 1955 als Europapokal der Landesmeister aus der Taufe gehoben wurde, war von einem Hype nichts zu erkennen. Statt dessen stöhnte man in vielen Ländern Europas genervt auf wegen der zusätzlichen Termine und fragte sich: Was soll das?
Entsprechend unspektakulär fiel Deutschlands Debüt in der Königsklasse aus, zumal Deutschlands Debütant am 14. September 1955 ein Klub war, der inzwischen bis in die fünfte Liga abgestürzt ist: Rot-Weiss Essen.
Damals war RWE der Stolz des ganzen Landes. Im Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft 1955 hatten sich die Westdeutschen im Duell gegen den 1. FC Kaiserslautern durchgesetzt und erstmals seit Kriegsende den Titel wieder ins Ruhrgebiet geholt. RWE galt als moderner, zukunftsgerichteter Klub, der unter der patriarchalischen Führung von Georg Melches stand und sich im selben Jahr bei einer neunwöchigen Reise durch Süd- und Nordamerika zum „ausgezeichneten Botschafter für den deutschen Sport" (Essener Allgemeine) aufgeschwungen hatte.
Medien ohne Interesse
Gegner der Rot-Weißen im neugeschaffenen Europapokal der Landesmeister war der schottische Landesmeister Hibernian Edinburgh.
In Deutschland stand man dem Europapokal äußerst kritisch gegenüber. Er würde den Terminplan aufblähen, und die Reisekosten wären immens, mäkelten Kritiker. Zudem habe das Publikum wenig Interesse an internationalen Spielen und würde statt dessen Lokalderbys vorziehen. Essens Presse schlug in den Tagen vor dem historischen Debüt in dieselbe Kerbe.
Das westdeutsche Fachblatt Sportpresse beschränkte sich auf einen kleinen redaktionellen Hinweis („Rot-Weiss trägt sein erstes Spiel um den Europapokal der Vereinsmannschaften am kommenden Mittwoch, 17.00 Uhr, im Stadion an der Hafenstraße aus. Gegner ist Schottlands Meister, Hibernian Edinburgh"

, und widmete sich lieber in epischer Breite der Berichterstattung über das Nachbarschaftsderby gegen den SV Sodingen, bei dem 20.000 Fans einen 5:0-Sieg von RWE bejubelt hatten.
Fans wollten lieber Sodingen sehen
Die Borbecker Nachrichten schrieben kein Wort, und in der WAZ war immerhin von einem „bemerkenswerten Intermezzo mitten in der Auseinandersetzung um die Meisterschaftspunkte" zu lesen. Dass das Blatt seine Leser darauf aufmerksam machen musste, dass „die Schotten keine Vergnügungsreise nach Essen machen, sondern ein Pflichtspiel austragen", verdeutlicht freilich die Akzeptanzprobleme, die der Europapokal seinerzeit in Deutschland hatte.
Entsprechend fiel die Resonanz aus. Zwischen 6.000 (WAZ) und 8.000 (Neue Ruhr-Zeitung) Zuschauer fanden am 14. September 1955 bei tristem Dauerregen den Weg an die Hafenstraße, um dem historischen Debüt beizuwohnen. Was sie sahen, war eine verletzungsgeschwächte Heimelf, bei der mit Rahn und Islacker zwei wichtige Angreifer fehlten, und einen schottischen Meister, der sich in Galaform präsentierte und RWE mit 4:0 nach allen Regel der Kunst demontierte. Die Neue Ruhr-Zeitung attestierte den Schotten hernach, eine „Klassemannschaft gestellt zu haben, die mit ihren Leistungen nicht geizte. Selten spielte in Essen eine bessere Fußballmannschaft". Die Heimelf hingegen wurde von der Presse regelrecht zerrissen. „Die Mannschaft konnte jedenfalls keinen Anspruch erheben, in diesem Turnier mit den klangvollen Namen Deutschland zu vertreten", konstatierte die NRZ.
Sonderlich traurig war über die Niederlage freilich niemand, denn in der öffentlichen Wahrnehmung war das Europapokaldebüt kaum über den Status eines lästigen Freundschaftsspiels hinausgekommen. NRZ: „Es ist zweifellos nicht die Schuld von Rot-Weiss Essen, dass eine Kette von Verletzungen zu der Aufstellungsnotlösung zwang. Andererseits zeigt es deutlich, welche Bedeutung im Grunde dem Europacup beizumessen ist, der zwischen den Punktespielen läuft".
Europapokalbegeisterung sieht zweifelsohne anders aus.
Nachdem RWE im Rückspiel in Schottland vor über 30.000 Zuschauern ein 1:1 errungen hatte, konstatierte die WAZ nüchtern: „Da die Schotten in Essen 4:0 gewannen, ist Rot-Weiss nunmehr aus dem Wettbewerb ausgeschieden".
Und dann war es vorbei, das historische Debüt, das ausgerechnet ein Klub schrieb, der heute in der Versenkung verschwunden ist.
Immerhin: Am kommenden Wochenende steht in Essen das Lokalderby Rot-Weiss gegen Schwarz-Weiß Essen an. Eine große Kulisse dürfte garantiert sein. Sie wird vermutlich höher sein als beim Europapokaldebüt vor 55 Jahren. Der Europapokal war damals eben noch keine Geldmaschine.
Hardy Grüne